Hannover, Münster (epd)
Der Kinderschutzbund Niedersachsen fordert zur Prävention von Kindesmissbrauch eine neue Kultur der Zivilcourage. „Es kann nicht sein, dass wir uns von massiven Kinderrechtsverletzungen immer wieder überrascht fühlen“, sagte der Landesvorsitzende Johannes Schmidt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit Blick auf die jüngst bekanntgewordenen schweren Missbrauchsfälle in Münster. „Das Thema liegt wie eine Betonplatte mitten unter uns.“ Das Tabuisieren erschwere es aber zusätzlich, die Gewaltstrukturen aufzubrechen. „Wir müssen deshalb lernen, nicht mehr wegzusehen.“
Für die meisten Bürger sei es einfach unvorstellbar, dass man Kinder sexuell missbraucht. „Und wenn etwas nicht sein darf, wird es auch nicht gesehen, sondern verdrängt“, erläuterte Schmidt. Dabei müssten Menschen die Augen offen halten und auf die Kinder in ihrem Umfeld oder ihrer Nachbarschaft achten. Verhielten sich einige von ihnen anders als gewohnt, also wirkten sie etwa beim Spielen nicht mehr fröhlich, sondern zurückgezogen und still, mieden plötzlich den Blickkontakt zu anderen oder kämen vielleicht gar nicht mehr zum Spielen heraus, so müssten die Menschen in ihrer Umgebung diese Signale ernst nehmen.
In Niedersachsen gebe es zahlreiche Experten, an die sich Bürgerinnen und Bürger mit ihren Beobachtungen wenden könnten, betonte Schmidt. In allen Anlaufstellen des Kinderschutzbundes oder über verschiedene Beratungstelefone würden vertrauliche Gespräche mit eigens ausgebildeten Fachleuten angeboten. Trotzdem hätten viele Angst davor, jemanden zu Unrecht zu beschuldigen. Dabei sei es für das Kindeswohl von großer Bedeutung, einen Vorfall im Zweifel lieber einmal zu viel als einmal zu wenig zu melden, sagte Schmidt. „Gegen kriminelle Machenschaften können wir sonst nicht viel ausrichten, aber so viel können wir als Bürger tun.“
Besonders heimtückisch sei, dass in den meisten Fällen die Täterinnen und Täter aus dem Nahfeld der betroffenen Kinder stammten, sagte der Kinderschutzbund-Experte. „Kinder haben blindes Vertrauen in ihre Angehörigen – in ihre Eltern sowieso.“ Zum einen könnten sie sich deshalb nicht vorstellen, dass etwas, was Verwandte mit ihnen machten, nicht in Ordnung sei. Zum anderen würden sie durch die Täter nochmals in diese Richtung manipuliert. Der Kinderschutzbund in Niedersachsen fordert deshalb Anlaufstellen eigens für Kinder, die in Stadtteilen, Städten, Kommunen und Landkreisen eingerichtet werden sollten.
Mit Festnahmen und Durchsuchungen in mehreren Bundesländern war die Polizei am Wochenende gegen ein Netzwerk vorgegangen, das für schweren sexuellen Missbrauch und Kinderpornografie verantwortlich sein soll. Festgenommen wurden elf Beschuldigte aus Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Brandenburg. Die mutmaßlichen Täter sollen über Jahre hinweg Kinder missbraucht und die Taten gefilmt haben. Hauptbeschuldigter ist ein bereits mehrfach vorbestrafter 27-jähriger IT-Spezialist aus Münster. Festgenommen wurden auch zwei Männer aus Hannover im Alter von 35 und 29 Jahren. (8154/08.06.20)